„Bürgermeister, Du wirst sehen, wir verlieren den Krieg“. Tatort: Heuweiler Tatzeit: März 1941

 

Einen kleinen Einblick in die Zeit der NS-Diktatur gibt die im Staatsarchiv Freiburg veröffentlichte Untersuchungsakte (A 47/1 Nr. 175):

Am 30. Oktober 1941 stellte der damalige Bürgermeister und Ortsbauernführer von Heuweiler beim zuständigen Gendarmerieposten Glottertal eine Strafanzeige gegen Karl Scherzinger (Erbhofbauer, Rainhof Heuweiler). Hintergrund war, dass er im März bei der Viehzählung einen Wortwechsel mit dem Rainbauern hatte. Dabei habe dieser gesagt: „Bürgermeister, Du wirst sehen, wir verlieren den Krieg“ (Abb.1). Außerdem wurde behauptet, der Beschuldigte habe nicht genügend Milch und Butter an die Kriegswirtschaft abgeliefert.

 

Abb. 1: Strafanzeige beim Sondergericht Freiburg wegen Verbrechen gegen die Kriegssonderstrafrechtsverordnung und Vergehen gegen das HeimtückegesetzTatort Heuweiler. Tatzeit: März 1941

Abb. 1: Auszug aus der Strafanzeige beim Sondergericht Freiburg[1]. Tatort Heuweiler. Tatzeit: März 1941

Es folgte eine Anklage wegen Verbrechen gegen die Kriegssonderstrafrechtsverordnung vom 17.8.1938 und wegen Vergehen gegen das Heimtückegesetz vom 20.12.1934. Außerdem wurde ein „Politisches Gutachten“ bei der Leitung der Kreisgeschäftsstelle der NSDAP Freiburg (Gau Baden) eingeholt. Dieses ergab, dass der Beschuldigte für den „Nationalsozialistischen Staat nicht besonders viel übrig“ habe. Er wurde von den Nazis als „politisch unzuverlässig“ eingestuft. Das Verfahren wurde nach Befragung mehrerer Zeugen am 15.Dezember 1941 eingestellt, vor allem, da die genannten Gesetze eine Öffentlichkeit verlangten, die Äußerungen aber in vier-Augen-Gesprächen gefallen waren. Auch für die weiteren Vorwürfe gab es keinerlei Belege.

Bemerkenswert ist eine offizielle Notiz, die der Oberstaatsanwalt der Akte persönlich hinzufügte. Sie verdeutlicht sehr das Selbstverständnis des Unrechtssystems der Nazionalsozialisten: „Ich bitte, insbesondere im Hinblick auf den Inhalt des politischen Gutachtens der Kreisleitung (anm.: der NSDAP) Freiburg, zu prüfen, ob gegen den Beschuldigten zur Warnung nicht mit nachdrücklichen staatspolizeilichen Maßnahmen vorgegangen werden sollte.“

Zu den „staatspolizeilichen Maßnahmen“ gehörte das gesamte Maß an staatlicher Wilkür der NS-Zeit: Drohungen, Gewaltanwendungen, „Schutzhaft“ im Konzentrationslager, Arbeitserziehungslager, Deportation. All dies war ohne weiteres trotz Freispruch möglich.

Am 5. Januar fügte die Geheime Staatspolizei (Gestapo) der Gerichtsakte hinzu: „Staatspolizeiliche Maßnahmen sind vorerst nicht beabsichtigt“. Die Anweisung, was mit der Akte erfolgen solle, lautete: „Weglegen.“

 

 


Verlinkte Quellen

1. Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg. Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Freiburg, Untersuchungsakten. A47/1 Nr. 175

 

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